„Es reicht, Frau Libal. Ich nutze die Software nicht mehr. Dreimal innerhalb von zwei Wochen wurde jetzt angeblich mein Problem schon gelöst und jedes Mal funktioniert es wieder nicht.“ Diese und ähnliche Meldungen erreichten mich gegen Ende vergangenen Jahrs immer häufiger. Die Anwenderprobleme unserer neuen, wichtigen Vertriebsplattform kamen leider erst dann bei uns an, wenn sich Mitarbeiter bei uns in der IT beschwerten. Wir hatten den Support extra so eingerichtet, dass die Anwender sich direkt beim Softwarehersteller meldeten und so, dachten wir jedenfalls, zeitnah Hilfe bekommen. Auf meine Anfragen beim Hersteller, bekam ich leider nicht akzeptable Antworten: „Wir lösen immer gleich die Probleme Eurer Anwender und wenn nicht, muss es wohl am Anwender liegen.“ Wie so oft, nach Softwareabnahme macht sich der Hersteller „vom Acker“ und will sich für die Anwenderbetreuung nicht mehr die Zeit nehmen. Und ich hatte leider auch nichts in der Hand um zu beweisen, dass unsere Anwender im Regen stehen gelassen werden. Für mich ein Grund eine Verkürzung des Prozesses zu finden. Mit Hilfe eines Datenanalysetools entwickelten wir im BMW Team eine Schnittstelle, über die wir gleichzeitig zum Hersteller die Supportanfragen erhielten und auswerten konnten. Wir machten somit für uns und vor allem für den Hersteller transparent, was es wirklich für Probleme gab. Selbst der Geschäftsführer des Herstellers war dankbar für die Transparenz und so konnten wir in kurzer Zeit gemeinsam den ganzen Prozess der Fehlerbehebung deutlich zur Zufriedenheit der Anwender verbessern.
Warum ich das erzähle? Weil wir mit solchem Umdenken nichts anderes getan haben als New Work in Aktion zu praktizieren.
Heute wird weltweit über die Zukunft der Arbeit diskutiert. Aus eigener Anschauung bin ich überzeugt: Wer jetzt am Ball bleibt, kann von einer gewaltigen globalen Bewegung profitieren. Als IT-Projektmanagerin bei einem so richtungweisenden Konzern wie der BMW Group habe ich das Glück, am Puls der Zeit zu sein und Veränderungen der Arbeitswelt hautnah mitzubekommen, sie zu verstehen und gezielt „die Welle“ mitzusurfen.
Was bedeutet New Work eigentlich?
New Work bezeichnet eine tiefgehende Transformation des Arbeitens über die nächsten zehn, zwanzig Jahre. Sie umfasst alle Ideen, Methoden und Maßnahmen, die zu einer Neugestaltung unserer Arbeitswelt beitragen. Diese Transformation ist maßgeblich von technologischen Innovationen bei Fertigung und Kommunikation bestimmt. Und sie wirft bei mir Fragen auf, zum Beispiel: Wie verändern sich die individuellen Lebensentwürfe? Was sind die nächsten globalen Megatrends? New Work ist multilokal, hoch mobil, verlagert sich immer mehr in die Virtualität – in ein „Metaversum“, sagt eine Bertelsmannstudie . Stimmt das?
Warum 5 Punkte für mich besonders entscheidend sind.
Aus eigener Erfahrung in der IT bin ich täglich mit der Dynamik von New Work konfrontiert. Dabei konnte ich in meinem Aufgabenbereich fünf besondere Aspekte identifizieren, die die Umwälzung am Arbeitsplatz vorantreiben – besser: vorantreiben können. Denn es ist eine Entscheidung, daran teilzunehmen, kein Naturereignis, dem man ausgeliefert ist. Ich bin auch überzeugt, wer diese Entwicklung nicht mitmacht, wird sich in seinem Job nicht mehr wohlfühlen. Mit einer offenen, optimistischen Einstellung können wir selbst Teil von New Work werden. Deshalb möchte ich meine eigenen Erfahrungen dazu an Menschen weitergeben, die sich gerade selbst in diesem Wandlungsprozess befinden. Ich möchte Mut für Veränderung machen, Neugier wecken und die großen Chancen dieser spannenden Entwicklung aufzeigen.
1. Führungskultur – weil neues Denken Führung braucht.
New Work ist kein Selbstläufer. Wenn bestimmte Faktoren nicht gegeben sind, wird die Transformation nicht gelingen. Dann kommt New Work durch die Hintertür und kann Verwerfungen zur Folge haben, die die Leistungs- und damit Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens beschädigen. Eine solche Hürde sind festgefahrene Hierarchien in der Führung, eine verknöcherte Unternehmenskultur, in der überholte Denkparadigmen noch immer in Blüte stehen. Wie können also Leader New Work-Konzepte verstehen, sie argumentieren und durchsetzen?
Veränderungen im New Work werden gemeinsam getragen. Wir müssen vorleben, was wir von anderen verlangen. Der Kitt, der alles zusammenhält, ist gegenseitiges Vertrauen. Ein Beispiel: Zwei Tage, nachdem ich in Urlaub gegangen bin, erhielt ich einen elektrisierenden Anruf. Eine Mitarbeiterin hatte an ihrem letzten Tag bei BMW und wohl wissend, dass ich weit weg war – ich kann es nicht anders ausdrücken – „Mist“ gebaut und das auch noch verschwiegen. Also brachte ich einen ganzen Urlaubstag damit zu, das Problem zusammen mit Kollegen schnell in den Griff zu bekommen. Ich sorgte mit meinem Eingreifen für richtig Stress. Wir alle waren restlos bedient und natürlich furchtbar enttäuscht. So etwas erlebe ich nicht alle Tage. Umso nachdenklicher ließ mich diese Geschichte zurück. Was mich am meisten getroffen hat, war der Vertrauensbruch, das Verschweigen.
Es geht nicht darum, dass keine Fehler gemacht werden – aber man muss darüber reden, man muss um Hilfe bitten können, wenn man etwas nicht bewältigt. Der Mitarbeiterin fehlte offenbar das Vertrauen in mich. Meine Leute kennen mich dafür, dass ich ihnen viele Freiheiten lasse und Verantwortung übertrage. Aber eben dazu gehört Vertrauen. Ich gehe ohne groß zu fragen ein paar Extrameilen, wenn es das Projekt erfordert. Das erwarte ich aber auch von anderen. In diesem einen Fall hat es nicht funktioniert, schade. Diese Episode beweist für mich aber ganz klar, dass gegenseitiges Vertrauen die ausschlaggebende Basis ist, auf die Führungskultur im Zeichen von New Work angewiesen ist. Später fragte mich eine Kollegin, ob ich nun bereute, dass ich selbst meinem Umfeld so viel Vertrauen schenken würde und ob ich jetzt etwas an meinem Vorgehen ändere. Meine Antwort: „Auf keinen Fall. Sowas passiert. Überwiegend bekomme ich eine positive Resonanz. Da fallen solche Geschehnisse gar nicht ins Gewicht.“
2. Individualität – weil der Faktor Mensch am meisten zählt.
In meinem letzten Blogartikel habe ich über meine Arbeit mit Nachwuchskräften geschrieben, über ihre Neugier, ihre Wissbegier, ihre Kreativität, ihren Enthusiasmus. Klar sind junge Menschen besser im Strom von New Work aufgehoben als Mitarbeiter, die über Jahrzehnte eine relative Statik im Unternehmen erfahren haben und sich dadurch sicher und geborgen fühlten. Doch auch langjährige Mitarbeiter verwirklichen heute alternative Lebensmodelle, schätzen den Wert von Freizeit, engagieren sich gesellschaftlich und entwickeln ein Selbstbewusstsein, wie es Mitarbeiter deutscher Unternehmen noch nie zuvor hatten. Zu New Work gehört: Arbeit soll Spaß machen, das Einkommen ausreichend sein, Job und Familie sollen zusammenpassen – und: es muss einen Sinn haben.
Das wirkt sich unter anderem so aus: Ich hatte Alexander, einen unserer Praktikanten, in meinem Projekt für die strategischen Marktprognosen der BMW Group eingebunden. Schon nach kurzer Zeit war er bei der Zusammenarbeit mit einem externen ausländischen Provider mit seinem mathematischen Background eine große Stütze. Doch mir fiel auf, dass er sich außerhalb von Projektmeetings recht wortkarg verhielt und nie aus sich heraus ging. Als würde er sich einen schützenden Mantel überziehen.
Dann jedoch verblüffte mich Alexander, als er den agilen Coach im Projekt vertreten musste. Ich erlebte, wie er diese Rolle nahezu perfekt ausfüllte. Er erklärte eingehend, argumentiere mit viel Geduld und Verständnis. War er über Nacht ein ganz anderer Mensch geworden? Ich sprach ihn darauf an. Mich interessierte, weshalb er nicht auch in unserem Team eine aktivere Rolle spielen würde. Seine Antwort hat mich beeindruckt: „Ilona, ich bin dir sehr dankbar für dein Vertrauen in meine Fähigkeiten. Genau deshalb möchte ich dich aber auf keinen Fall enttäuschen. Ich hänge mich als agiler Coach richtig rein, das kostet Kraft. Und dann brauche ich wieder meine Zeit, in der ich mich nicht so bemerkbar mache. Ich höre einfach nur zu und ihr gebt mir Halt und Energie zum Auftanken.“
Wenn ich diese Zeilen schreibe, bekomme ich tatsächlich Gänsehaut. Er redete ja nicht viel und dann gleich so etwas Persönliches, das hat mich wirklich beeindruckt. Da bin ich einfach nur noch stolz. Ich habe das Umfeld geschaffen, in dem sich Alexander wohl fühlt und seine Stärken ausleben kann.
3. Agilität – weil proaktives Handeln stark macht.
Es steht nun sogar im Koalitionsvertrag der Bundesregierung: Deutschlands Verwaltung soll „agiler und digitaler“ werden. Als ich das las, musste ich ein bisschen schmunzeln. In der Softwareentwicklung und anderen wirtschaftlichen Bereichen hat sich agiles Vorgehen bereits auf breiter Front durchgesetzt. New Work ist ohne Agilität nicht denkbar. Bei BMW gibt sie einen Rahmen vor und hat beispielsweise zu neuen Meetingstrukturen geführt. Darüber habe ich in meinem Blog ausführlich berichtet. Agile Teams tragen gemeinsam Verantwortung und schaffen gemeinsam Ergebnisse. Das kann auch mal durchaus unkonventionell umgesetzt werden. Mir ist sehr wichtig, dass wir uns gegenseitig unterstützen und an einer Zusammenarbeit Freude haben. Wir nutzen beispielsweise virtuelle Meetings, um Methoden, Übungen, Spiele auszuprobieren. Oder als die Coronamassnahmen es erlaubten, haben wir eine Art Schnitzeljagd durch das Münchner Zentrum durchgeführt. Unsere Teams lösten die verrücktesten Rätsel. Das schweißt zusammen. Wir waren danach ganz euphorisch!
Andrea erzählte mir am Rand dieser Schnitzeljagd, dass sie während ihres Praktikums in unserem agilen Team „ein anderer Mensch“ geworden sei: „Jetzt ist mir nichts mehr zu schwer. Das Studium werde ich mit Leichtigkeit packen!“ Nein, das ist keine Selbstüberschätzung. Andrea hatte als Studentin bei BMW ein eigenes agiles Projekt geleitet und erhielt dafür Lob von allen Seiten. Ich erinnere mich gut, wie souverän und konstruktiv sie als Neuling in der freien Wirtschaft auf Englisch mit unserem externen Team kommuniziert hat. Das macht natürlich mächtig Rückenwind für die Zeit, wenn sie wieder im Hörsaal sitzt.
4. Flexibilität – weil starre Raster nicht wettbewerbsfähig sind.
Corona hat dem Einzug von New Work in unsere Arbeitskultur tatsächlich einen „Dienst erwiesen“. Wie skeptisch wurden doch Themen wie Homeoffice, neue Raumkonzepte und dezentrales Arbeiten noch vor zwei Jahren gesehen. Letztlich hat uns die Pandemie zu mehr Pragmatismus und Eigenverantwortung aufgefordert. Aber auch jede andere größere Herausforderung ist immer ein Appell an unsere Flexibilität.
Und die beginnt damit, dass wir Dinge neu denken. Früher befand sich beispielsweise eine Server-Infrastruktur in unserem Unternehmen – heute setzt die neue Cloudstrategie andere Schwerpunkte. Wer über Jahre Spezialist für Server war und sich perfekt mit Rechenzentren auskannte, muss heute Cloudexperte sein. Flexibel zu sein, damit zeigen wir, dass wir nicht mehr ein Leben lang Spezialisten für nur eine Sache sind, sondern dass wir lernen können und für neue Themen bereit sind.
New Work ist dann angekommen, wenn Sätze wie „Das haben wir ja noch nie so gemacht. Wo kommen wir denn da hin?“ der Vergangenheit angehören. Ich dachte nicht, wie gut Homeoffice funktionieren kann – möchte aber mein gutes altes Büro und den persönlichen Kontakt mit meinen Kollegen nicht missen. Und was meine Kollegen aus dem früheren Serverbereich angeht – die waren selbst überrascht, wie schnell sie sich in ihre neue Aufgabe eingefunden haben!
5. Vernetzung – weil Kontakte die Dinge zum Laufen bringen.
Globalisierung, die Revolution der Kommunikation und immer neue technische Möglichkeiten faszinieren mich natürlich besonders. Wie komme ich an Daten? Wie mache ich mir Wissen zugänglich? Wo erhalte ich Schlüsselinformationen, die der Wettbewerber nicht hat? Vernetzung schafft Wissensstrukturen, die Mensch, Technologie und Information vereinen. Wir sollten das Netzwerken deshalb nicht als Nebensache betrachten, sondern gezielt virtuelle Wege anlegen und nutzen.
Ich vernetze gern Menschen. Wenn ich interessante Leute treffe, knüpfe ich sofort Verbindungen. Kommt jemand mit einem bestimmten Thema auf mich zu, frage ich mich, was ich selbst beisteuern kann und wer dafür noch infrage käme. Bei dieser Einstellung kommt immer viel zurück. Ich werde selbst ständig neu vernetzt und fühle mich in den so gesponnenen Netzwerken wohl.
Betrachten Sie es ruhig als persönliche Einladung, sich beim nächsten Treffen mit einem Menschen, den Sie noch nicht kennen, zu fragen: Was macht sie oder ihn besonders? Was fasziniert mich an dieser Person? Was hat sie womöglich mit jemandem gemeinsam, den ich bereits kenne? Ich bin sicher, dass dabei Querverbindungen entstehen, die unser Verständnis für New Work ein riesiges Stück