Verrückt, wie auf einmal alles anders ist. Vor Corona hatte ich immer einen Praktikanten betreut, heute sind es gleich sechs junge Menschen – alle so um die 24. Mir macht es große Freude, mit der Generation der Digital Natives zu arbeiten. Wenn ich in ihre Gesichter schaue, sehe ich ein Stück Zukunft. Ihnen ist bewusst, dass sie nur mit einer hohen fachlichen Qualifikation ihren Traumjob bekommen werden. Was ihnen nicht so bewusst ist, dass neben fachlicher Qualifikation gewisse zusätzliche Fähigkeiten- sogenannte Soft-Skills – Grundlage für berufliche Karriere sind. Genau das möchte ich meinen Studenten vermitteln.

Wer gerade dabei ist, Spaß an der Verwirklichung im Job zu finden, sollte sich also auch mit dem Erwerb solcher Soft-Skills fit für das Kommende machen. Konsequenterweise müssten Teamleader die Soft-Skills Ihrer Mitarbeiter fördern. Dazu habe ich mir Gedanken gemacht. Sie beruhen exemplarisch auf eigenem Erleben im IT-Projektmanagement, stammen also eher nicht aus dem HR-Bereich. Dafür zu hundert Prozent aus der Praxis.

Der Jugend etwas mitgeben
Als IT-Projektmanagerin bei der BMW Group habe ich es mir unter anderem zur Aufgabe gemacht, junge Menschen zu fördern. Das hat zuerst einmal mit Respekt zu tun, mit Verständnis, aber auch mit Nachsicht und sehr oft mit Bewunderung. Was die Jugend gerade wahrnimmt, ist eine gewaltige Transformation. Dieses Wort taucht gern auf Powerpoint-Folien auf. Spätestens seit dem ersten Lockdown ist aber jedem klar, dass es eine Dynamik mit diversen Schwerpunkten gibt, die den im Gang befindlichen wirtschaftlichen Wandel rasant vorantreibt. Diese Transformation ist digital, gesellschaftlich, ökologisch, politisch – und sie ist global. Um in ihr zu bestehen und ihre Chancen zu nutzen, braucht es nach meiner Erfahrung diese fünf „weichen Fähigkeiten“.

Soft-Skill Nr. 1: Zielgerichtetes Lernen
Neugierig, aufgeschlossen sein, der berühmte Blick über den Tellerrand … damit fängt es an. Wenn einem die vertrauten Fakten und Informationen nicht mehr reichen, man auf Erkundung ausgeht – exakt das ist mit fokussiertem, also zielgerichtetem Lernen gemeint. Wer sich mit dem zufriedengibt, was ihm tagtäglich vorgesetzt wird, passt vielleicht wunderbar in eine Behörde – sorry, liebe Staatsdiener, ihr wisst, wie ich’s meine – aber nicht in Unternehmen, die ihre Wirtschaftsgeschichte von morgen schreiben wollen.

Viele meiner Studenten sind von Natur aus wissbegierig. Für andere muss ich Anreize zum zielgerichteten Lernen schaffen. Merke: Leader dürfen viel erwarten, sollten aber auch Weichen stellen können. Die jungen Menschen bringen meist überraschend viel an Wissen und Können mit – und ich möchte ihnen gerne vermitteln, dieses Wissen auszubauen, sichtbar zu machen und damit nutzbringend anzuwenden.

Eine der Kernregeln für zielgerichtetes Lernen lautet: Setz dir ein Ziel und strukturiere dann dein Vorgehen, um dieses Ziel zu erreichen! Ich helfe dabei, indem ich mit den Praktikanten eine Vision entwickle, aus der sich die Ziele ableiten.

Zwei beispielhafte Visionen, die ich mit meinen Studenten erarbeitet habe: Gibt es eine Möglichkeit, die Kosten unserer Cloud-Anwendung zu optimieren? Oder: Wie lässt sich die Lizenzverwaltung für unsere Applikationen verbessern? Andere zielen auf das Verbesserungspotenzial unseres Supportprozesses ab oder auf ein Konzept für die automatische Testabdeckung. Mir ist dabei wichtig, den Studenten das Gefühl zu geben, selbst über ihr Vorgehen zu entscheiden. Wobei ich mich lediglich für Rückfragen und Beratung verfügbar mache.

Soft Skill Nr. 2: Agiles Arbeiten
Nachdem wohl alle großen Konzerne beim Thema Agilität das nötige Lehrgeld gezahlt haben, steht inzwischen fest: Agiles Vorgehen ist zwar keine Lösung für alles und jeden – bei einem geeigneten Projekt aber sehr wohl ein Quantensprung hinsichtlich Qualität, Timing und Kundenzufriedenheit. Agilität ist auch kein Trend, sondern in vielen Fällen eine Notwendigkeit und spiegelt eine Haltung wieder. Junge Mitarbeiter müssen sich ihr stellen, sie beherrschen. Dabei können sie übrigens aus den Fehlern lernen, die andere lange vor ihnen gemacht haben. Denn hinter uns liegt ein völlig normaler Entwicklungsprozess, zu dem auch Kinderkrankheiten gehörten.

Was die Arbeit sehr erleichtert: Einige grundsätzliche Aspekte von Agilität gehören heute ohnehin zum Rüstzeug junger Menschen. Sie lieben es, Eigenverantwortung zu übernehmen und in unkonventionellen Strukturen unterwegs zu sein. Um reibungslos in die agile Welt einzutauchen, vermittle ich unseren Studenten ein an der täglichen Praxis ausgerichtetes Modell. Sie erfahren alles über agile Meetingstrukturen, setzen sich mit Akzeptanzkriterien auseinander, lernen, wie eine Userstory beschrieben und dann abgenommen wird.

So haben wir zum Beispiel jeden Montag ein Sprintmeeting, wo wir unsere aktuellen Themen besprechen. Täglich gibt es zudem kurze Abstimmungsmeetings. Außerdem ist jeder noch in seinem eigenen agilen Applikationsumfeld mit internationalen Partnern vernetzt. Jedes Thema wird vom Team gemeinsam angepackt. Einer übernimmt die Verantwortung und berichtet dann im nächsten Sprintmeeting. So können die Youngster moderne Formen der Zusammenarbeit erleben, ihre Teamfähigkeit praktizieren. Da kann es schon mal vorkommen, dass mir nach einem langen Tag Fabian auf dem Flur über den Weg läuft, ein normalerweise recht wortkarger, sehr zielstrebiger junger Mann. „Ilona“, ruft er mir ungewohnt euphorisch zu „Ich habe gar nicht gewusst, dass agiles Projektmanagement so viel Spaß machen kann. Ich glaube, ich werde jetzt in dieser Richtung weitermachen!“

Soft Skill Nr. 3: Kreative Datenauswertung
In Zukunft kommt es noch mehr als je zuvor darauf an, das Potenzial von Daten zu erkennen, sie auszuwerten, also das Wesentliche zu einem bestimmten Thema herauszulesen. Um die Fähigkeit zur Datenanalyse zu schulen, wähle ich Praxisbeispiele, mit denen wir einen hohen Nutzen für unsere Arbeit und somit fürs Unternehmen transparent darstellen können.

Das ist beileibe keine Beschäftigung zum Selbstzweck. Ein gutes Ergebnis kann helfen, die Userzufriedenheit zu erhöhen, die Zusammenarbeit mit unseren Partnern zu verbessern und Kosten für die BMW Group zu senken. Außerdem lassen sich unsere Auswertungen auch auf andere Applikationen anwenden. Oft spüre ich den Stolz meiner jungen Kollegen, die mit ihren Datenanalysen und Prozessoptimierung über die Grenzen unseres kleinen Teams bekannt werden und messbaren Nutzen stiften. Und dann passiert es, dass man unverhofft ein Anruf aus dem Management erhält: „Können deine Studenten nicht mal ihre Ergebnisse vor dem gesamten Bereich vorstellen?“ Wie da die Augen des jungen Teams strahlen.

Soft Skill Nr. 4: Umgang mit anderen Kulturen
In einer Videokonferenz. Studentin Diana hört mir aufmerksam zu, wie ich unserem neuen externen Team in Rumänien lang und breit erkläre, wie wichtig es ist, aufgrund von erhöhten Hackerangriffen das Monitoring unserer Infrastruktur und unserer Prozesse zu überarbeiten. Ich bekomme immer nur zur Antwort: „Fein, prima, alles klar.“ Als ich wieder off bin, fragt mich Diana erstaunt: „Bist du dir sicher, dass ihr über dasselbe gesprochen habt? Sie haben doch kaum einen Mucks gesagt, immer nur mit ja geantwortet.“ „Stimmt, Diana. Das rumänische Team ist noch sehr vorsichtig mit Fragen oder gar Einwänden. Hier liegt es jetzt an mir Vertrauen aufzubauen. Außerdem gibt es sprachliche Barrieren. Als meine Aufgabe sehe ich es an, immer wieder zu checken, ob wir gemeinsam auf dem richtigen Weg sind. Ohne dass ich als Kontroller rüberkomme. Keine leichte Aufgabe.“ Zwei Monate später sprach mich Diana noch mal dazu an: „Ich war echt erstaunt, wie dein Vorgehen funktioniert hat. Dieselben rumänischen Mitarbeiter haben heute frei und offen über das Thema gesprochen, auf Probleme hingewiesen und anschaulich Maßnahmen beschrieben.“ Wir waren eben alle zusammengerückt und haben uns kennen und schätzen gelernt.

Andere Kulturen erfordern den gleichen Respekt, den wir für die unsere einfordern. Dazu gehören ein klares Einfühlungsvermögen für unterschiedliche Mentalitäten, Weltoffenheit und die Fähigkeit, auch bei komplexen Themen mit Menschen aus anderen Regionen auf eine Wellenlänge zu kommen. Wenn ich sehe, wie mancher Kollege wieder mal lächelnd seinen Kopf schüttelt, weil ein Ansprechpartner aus seiner Kultur heraus Schwierigkeiten hat, Fehler einzugestehen oder Konflikte zu benennen, denke ich mir: Vielleicht auch mal eine gute Gelegenheit, ihm zu sagen, warum mir das mit meiner Einstellung nicht so leicht passieren kann.
Für unsere Studenten sind das jedenfalls wertvolle Erfahrungen, wie Teams über sprachliche, geografische und kulturelle Grenzen hinweg zusammenarbeiten können – ein Praxiserlebnis, das ihnen keine Hochschule bietet.

Soft Skill Nr. 5: Fokussierte Arbeitsweise
Wer kennt das nicht, die vielen kleinen Herausforderungen, die uns morgens anspringen, wenn wir die Bürotür aufmachen. Es gibt so viele Probleme auf der Welt, deren Lösung nicht in unseren Händen liegt, die sich aber sehr wohl in unserer Arbeit widerspiegeln. Corona – um nur das gerade hervorstechendste Problem zu nennen – wirkt sich auch in meinem Arbeitsumfeld auf Budgetfragen, Neueinstellungen, Kostenreduktionen und den Umgang miteinander aus. Vor zwei Jahren hat niemand über tägliches Homeoffice und gar Mundschutzpflicht nachgedacht – heute ist so etwas Realität und muss verstanden werden. Mir tat es in der Seele weh, letztes Jahr Praktikanten nach anderthalb Tagen gleich ins Homeoffice schicken zu müssen. Sie kamen ja zu uns, weil sie den Konzern hautnah kennenlernen wollten. Zurück also in der Studentenbude? Wie gebe ich ihnen mit, ihren Fokus auf das wesentliche bei der Lösung ihrer Aufgaben zu legen?

Mein Ansatz dafür ist, mein Team virtuell zusammen zu schweißen. Dabei helfen mir die virtuellen Meetings, in denen jeder seinen Arbeitsfortschritt präsentiert und bei Problemen Unterstützung von den Teammitgliedern einfordert. Im Hintergrund moderiere ich diese Diskussion zur Problemlösung. Durch meine Moderation bekomme ich ein Gefühl, wer meine Hilfe zur Fokussierung braucht.

Fokussierung bedeutet manchmal auch das Gegenteil, ein kontrolliertes Abschweifen zur Auflockerung, damit im agilen Vorgehen die Kräfte wieder gebündelt eingesetzt werden können. So nehmen wir uns auch bei den virtuellen Meetings immer mal die Zeit für kleine Kennenlernspiele. Das war übrigens die Idee einer Studentin, die sich Gedanken machte, wie man das Potenzial noch mehr ausnutzen könnte. Angeregt von dieser Idee schlug ein Student vor, im harten Lockdown wenigstens eine digitale Werksführung zu machen – und ja, dabei verströmte auch virtuell jede Menge BMW-Flair. Nicht jedes Problem lässt sich einfach wegbügeln. Aber wir können unsere Fähigkeit trainieren, mit einem fokussiertem Vorgehen Auswege zu suchen und dabei neue Chancen zu kreieren.

Soft Skills vermitteln mit der Working-Out-Loud-Methodik
Wer meine Beiträge liest, weiß, wie faszinierend ich die Übereinstimmung von WOL-Prinzipien etwa mit den Werten von BMW und den Voraussetzungen von Agilität finde. Dementsprechend möchte ich die Vorzüge dieser Sichtweise auch den jungen Leuten mit auf dem Weg geben. So führe ich zu Beginn eines jeden Praktikums jeweils einen WOL-Workshop durch, in dem die Studenten diese Selbstlernmethode kennenlernen. Die Teilnehmer können dann innerhalb ihres Studenteneinsatzes eigenständig Elemente daraus trainieren und anwenden. Der praktische Aspekt: Alle oben genannten fünf Soft Skills werden mit WOL gefördert und verstärkt.

Fazit:
Die Studenten lernen bei mir viel über IT Themen wie IT Sicherheit, Projektmanagement und interne Prozesse in einem Konzern. Das wird ihre Entscheidung, wo sie in Zukunft arbeiten wollen, in die eine oder andere Richtung beeinflussen. Während ihres Einsatzes erleben sie aber auch, wie vielfältig Prozesse und Entscheidungen sind. Sie spüren den ständigen Zeitdruck und sehen wie alles schneller und komplexer wird. Durch die fünf von mir vermittelten Soft Skills lernen sie, wie sie dieser Komplexität angemessen begegnen können. Es gibt ihnen Zuversicht und Kraft für die Zukunft. Mit diesen Fähigkeiten werden sie auch in schwierigen Situationen selbstbewusst und eigeninitiativ agieren.

Ilona Libal ist Diplom-Informatikerin und IT-Projektleiterin bei einem Automobilkonzern. Wie Arbeit aussehen kann, die begeistert, Freude macht, vernetzt – dazu erzählt sie in diesem Blog Geschichten von tollen Menschen und Veränderungen. Sie möchte Wissenswertes verfügbar machen und Schwung in den Arbeitsalltag ihrer Leser bringen.