Im Urlaub schaue ich Fernsehen. Mach ich sonst nicht. Es läuft „Forrest Gump“ und ich bin wieder mal fasziniert, wie dieser liebenswerte Einfaltspinsel sein alles andere als leichtes Leben hinbekommt. Und nicht nur das, er ist sogar bei wichtigen historischen Ereignissen mit den berühmten Persönlichkeiten seiner Zeit dabei.

Eine Filmszene mit dem wunderbaren Tom Hanks hat sich mir besonders eingeprägt: Als der junge Forrest gefragt wird: „Hast du schon mal überlegt, wer du später werden willst?“, antwortet dieser frei heraus: „Wieso kann ich dann nicht mehr der sein, der ich bin?“

Mich berührt diese Szene. Vielleicht auch deshalb, weil ich im Job sehr viel mit jungen Menschen zu tun habe. Unsere Praktikanten bei BMW haben einen weitaus höheren IQ als Forrest Gump. Und wie bei Forrest sitzt bei ihnen das Herz auf dem rechten Fleck. Das kann ich immer wieder feststellen. Es ist ein Privileg der Jugend, an die Dinge unvoreingenommen und mit vollem Elan herangehen zu können. Junge Leute nehmen sich das Recht, mutig zu sein. Daran sollten wir uns immer mal wieder erinnern und fragen, wann und warum wir diese wunderbare Fähigkeit mit zunehmenden Berufsjahren versiegen lassen haben. Und warum wir sie nicht einfach wieder aktivieren.

Okay, Forrest Gump ist Kino, das ist Hollywood. Doch entwickeln sich nicht auch im realen Leben gewollte oder ungewollte Anstöße ins Positive. Man muss wie Forrest offen für neue Situationen sein, sich auf das Ungewisse einlassen und seine Chance im abrupten Wechsel der Umstände erkennen. Dann ist alles möglich.

Auf einmal ist alles anders
So wie bei meinem geschätzten Kollegen Bernd. Wir arbeiten in einiger räumlicher Entfernung – er in Regensburg, ich in München. Regelmäßig wird telefoniert. Anfang Mai dann der Paukenschlag: „Ilona, du weißt ja, was gerade los ist. Unsere Zulieferer in der Ukraine sind ausgefallen und mein Bereich bekommt es voll zu spüren. Kurzarbeit. Ich werde BMW wohl verlassen müssen.“

Natürlich hab ich erst mal geschluckt. Ich wollte irgendetwas Aufmunterndes sagen. Doch während ich noch nach Worten suchte, war er es, der etwas Optimistisches sagte. „Ach, das wird schon. Ich sehe jede Veränderung als Chance. Ich komme überall unter.“ Irgendwie hatte ich ja erwartet, er würde mich fragen, ob ich nicht für ihn eine Idee für einen neuen Job hätte.

Ein paar Wochen vergingen. Dann wieder ein Anruf. Bernds Freude klang sofort durch, als er verkündete, dass er sich ein neues Betätigungsfeld an Land gezogen hatte. So schnell kann es manchmal gehen. Gestern noch dunkle Regenwolken, heute wechselhaft, morgen Sonnenschein. Wie Bernd ging es auch anderen Freunden und Bekannten. Ich erlebe gerade eine unglaubliche Veränderung, einen dynamischen Wandel in meinem Netzwerk. Und weil so viele Menschen regelmäßig vor einer existenziellen beruflichen Neuausrichtung stehen, habe ich dieses Thema in meinem Blog aufgegriffen.

Das Thema Veränderung betrifft mich auch selbst. Es zieht sich durch mein ganzes Leben. Und ob ich nun selbst gefordert war oder andere Menschen in meinem Umfeld: meist waren Veränderungen mit Sorgen, Ungewissheiten und Zweifeln verbunden. Deshalb habe ich diesen Betrag verfasst. Er ist für alle gedacht, die gerade einen fundamentalen Umbruch durchstehen oder vor einer Veränderungsentscheidung stehen. Und er soll Mut machen.

Der berühmte Sprung ins kalte Wasser
Ich habe die Wende 1989 als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der TU Dresden hautnah miterlebt. Wer noch nie dabei war, wie ein ganzes Land verschwindet, kann sich das nicht vorstellen. Mein größter Wunsch damals: „Ich möchte jetzt etwas tun, was ich bisher nicht durfte. Ich mache mich selbstständig und gründe ein Softwarehaus. Damit werde ich „Millionärin“ und ändere die Welt zu etwas Besserem.“ Nun ja, Millionärin bin ich nicht geworden. Aber den Willen, mit meinen zur Verfügung stehenden Mitteln die Welt zu etwas Besserem zu machen, habe ich nie verloren. So startete ich mit Software für Reisebüros, entwickelte Einsatzpläne für Lufthansa und spezialisierte mich auf Software für Hörgeräte. 1997 ging ich den nächsten Schritt und nahm ein Angebot als Softwareentwicklerin für eine große Rückversicherung in München an.

Und so erfuhr ich, wie das ist, wenn man mitten im Berufsleben steht, zwei Kinder hat und einfach mal als Frau die Pendlerin quer durch Deutschland gibt. Augen zu und durch, war wohl in der Zeit meine Devise – Alles ist möglich. Und wirklich, es ergaben sich unglaubliche Chancen und die Dinge entwickelten sich ins Positive. Und so pendelte ich bis zur Festeinstellung 2004 zwischen Dresden und München. 2011 bot sich die große Chance, mit meinem Mann nach Arabien zu gehen. Wenn ich es als Dresdnerin nach München schaffe, sollte doch auch das möglich sein. So kündigte ich mit Mitte 40 meinen Traumjob und … Hallo Zukunftsangst! Bisher habe ich immer locker mit meinen männlichen Kollegen mitgehalten und war zugleich eine gute Mutter. Aber würde ich meinem Beruf auch in Arabien nachgehen können und als Rückkehrerin wieder einen vergleichbaren Job finden? Dann kam alles anders: Nur ein paar Tage nach der Landung in Bahrain begann der arabische Frühling direkt vor unserer Haustür am Pearl Platz. Meine tief gehenden Erlebnisse damals verarbeitete ich in meinem Buch „Frühling in Bahrain“

Die drei Jahre dort haben meine Sichtweise zu anderen Völkern und Kulturen intensiv geprägt. Ich bin 2013 offener und gestärkter zurückgekommen – und trat meine jetzige Stellung als IT-Projektmanagerin der BMW Group an. Es hätte auch ganz woanders sein können, denn ich wusste: Ich würde mich überall zurechtfinden.

Zugegeben, es war alles andere als leicht, in einem Automobilkonzern Projekte erfolgreich zum Ziel zu bringen. Versicherungen und Fahrzeughersteller unterscheiden sich doch sehr stark. Und das merkte ich als Projektmanagerin nun. Nur ein Beispiel: das Teilen von Wissen. Untereinander und auch über Bereichsgrenzen hinweg sein Wissen zu teilen oder gar andere um Hilfe bitten, war am neuen Arbeitsplatz eher negativ belegt. Das passte so gar nicht zu meiner Einstellung. Denn meine Erlebnisse während des „arabischen Frühlings“ hatten mich gelehrt, was offenes Miteinander und Netzwerke bewirken können. Diese Erkenntnis war auch ein Grund, warum ich mich für die Selbstlernmethode Working Out Loud interessierte und gemeinsam mit zwei Kollegen eine Graswurzelbewegung bei BMW initiierte.

Sei neugierig!
Es heißt: Der Ursprung der Philosophie ist das Staunen. Erst im Staunen fangen wir an, uns für die Welt zu interessieren und über sie nachzudenken. Kannst du dich daran erinnern, wann dir das letzte Mal vor Erstaunen die Kinnlade heruntergefallen ist? War es gestern – oder ist es doch schon Monate, wenn nicht Jahre her? Damit bist du nicht allein. Vielen geht es so. Wir haben das Staunen bei der Meisterung unserer tagtäglichen Herausforderungen verlernt. Dabei ist doch ganz klar, dass uns das Lernen weniger Mühe kostet, wenn wir neugierig auf etwas sind.

Dann lösen wir Aufgaben in der Regel mit mehr Leidenschaft und Erfolg, selbst wenn diese Aufgaben auf den ersten Blick stinklangweilig erscheinen. Plötzlich sind wir in der Lage, sogar an dröge Routinehandlungen wie Kopieren, Abheften und Sortieren etwas Spannendes zu finden. Oder geht es Dir nicht so? Wenn ich in meiner Aufgabe einen Sinn erkenne, tue ich genießerisch selbst die langweiligste Tätigkeit.

Wer sich das kindliche Staunen von Forrest Gump bewahrt und die Welt mit neugierigen Augen anschaut, hat weniger Angst vor Herausforderungen und neuen Situationen. Welches Unternehmen wünscht sich nicht solche neugierigen Mitarbeiter?

Ein Kind stellt angeblich bis zu 50 Fragen pro Stunde. Sollten wir das nicht auch wieder tun? Die Fragen im Kopf haben wir. Unser Chef und auch einige Kollegen fänden das vermutlich ziemlich nervig und ungewöhnlich. Sollen Sie ruhig. Dabei haben auch sie sicher den Kopf voller Fragen.

Offenheit, die keine Grenzen kennt
Ich treffe immer wieder Menschen, der gerne Fragen stellen, sogar richtig unbequeme. Und die dem Impuls ihrer Neugier und Lebensfreude auch dann folgen, wenn es um den Arbeitsplatz geht. Im Juni hatte ich die Idee, für mein Team einen Golf-Schnupperkurs in München-Thalkirchen zu buchen. Die Zeit verging wie im Flug. Anschließend sitze ich mit Leon bei einer Tasse Kaffee im Restaurant am Golfplatz. Leon ist aus seiner schwäbischen Heimat nach München gezogen. Er nahm ein Studium an der TU auf und macht nun ein Praktikum bei BMW. Wenn wir mit unserer externen Partnerfirma in Rumänien Meetings haben, moderiert Leon selbstbewusst in flüssigem Englisch. Problemlos hat der Youngster auch die Transition zwischen zwei Unternehmen geleitet, die mit uns zusammenarbeiten.

Neugierig frage ich ihn: „Wie bist du eigentlich zu deinem perfekten Englisch gekommen?“ Leon erzählt, dass er einen Teil seiner Kindheit in England verbracht hat. Seine nächste Station nach BMW wird denn auch die wirtschaftswissenschaftliche Fakultät der Warwick Business School sein, wo er seinen Master machen will. Wenn die fünf Monate bei uns in der IT der BMW Group um sind, wird er mit derselben Bereitwilligkeit und Neugier nach England gehen, wie er an die Isar gekommen ist. „Naja, wenn man jung ist …“, höre ich da einige sagen. Aber warum schieben wir es aufs Alter, wenn wir unsere Flexibilität gegen Statik eingetauscht haben. Sicher, die Familie, die Freunde, die vertraue Umgebung, wer will da einfach so die Karten neu mischen? Aber man kann sie ja erst mal in die Hand nehmen und in Ruhe schauen, welches Spiel möglich ist. Denn es ist ja ein Spiel, wenn wir im Leben Nieten ziehen oder den Joker in die Hand bekommen.

Leon ist alles andere als ein Forrest Gump. Er ist clever und kann Zusammenhänge rasch erfassen. Er ist auch nicht ausschließlich impulsgetrieben, ist durchaus selbstkritisch und hat auch Zweifel – wie jeder von uns. Ich habe ihn hier ins Spiel gebracht, weil er für wichtige Eigenschaften steht, die Veränderungen – gewollte oder ungewollte – gelingen lassen.

Das beginnt bei simplen Frage wie: Wo liegen die Risiken, wo die möglichen Vorteile eines Umbruchs? Was kann dir im schlimmsten Fall denn passieren? Es lohnt sich, ausgiebig darüber nachzudenken. Man kann aus Angst vor der Ablehnung ein Bewerbungsgespräch von vornherein ausschlagen – oder sich sagen, dass man bei einer Absage zumindest ein Gratis-Training bekommen hat. Und überhaupt: Wo A ein Risiko sieht, wittert B eine willkommene Chance, seiner Karriere einen neuen Antrieb zu geben. Auch dazu gehört Mut. Doch ich glaube, dass wir alle auf die eine oder andere Weise mutig sein können, wenn wir uns für unsere eigenen Belange, Wünsche und Ziele wirklich öffnen.

Mut braucht Unterstützung
Wenn wir merken, dass es um uns herum nicht mehr passt, wenn wir unsere Umgebung nicht verändern können – dann ist das vielleicht ein Signal:
Verändere dich selbst und ziehe weiter. Es gibt immer mindestens eine neue Tür, die aufgeht. Dazu bedarf es aber der Vorarbeit. Wir brauchen ein Netzwerk, sollten Leute kennen, die auf unserer Wellenlänge liegen und von ähnlichen Visionen erfüllt sind wie wir selbst. Sich gegenseitig bestärken, ist einer der größten Mutmacher überhaupt. Mir sagte mal ein guter Freund, dass man heute nicht mehr ein Leben lang nur diesen einen Job ausübt. Wie recht er hat. Es ist schön, dass es wertvolle Menschen wie ihn gibt, die einem entlang des Lebensweges beistehen. Morgen ist ein neuer Tag. Das ist schon mal sicher. Forrest würde dazu sagen: „Das Leben ist wie eine Schachtel Pralinen.“

 

Ilona Libal ist Diplom-Informatikerin und IT-Projektleiterin bei einem Automobilkonzern. Wie Arbeit aussehen kann, die begeistert, Freude macht, vernetzt – dazu erzählt sie in diesem Blog Geschichten von tollen Menschen und Veränderungen. Sie möchte Wissenswertes verfügbar machen und Schwung in den Arbeitsalltag ihrer Leser bringen.