Warum auch ich mich an dieser Blogparade beteilige? Aus zwei Gründen: Weil ich ihren Initiator, meinen Kollegen Marcus Raitner, sehr schätze und weil ich aus einer speziellen persönlichen Situation heraus zu diesem Thema beitragen möchte. Als IT-Projektleiterin in einem agilen Umfeld, als Mitarbeiterin in einem großen Automobilkonzern, die die Kultur im Unternehmen positiv beeinflussen möchte und nicht zuletzt als WOL Enthusiastin. Ich war lange Zeit selbstständig und habe gelernt, aus schwierigen Situationen das Positive heraus zu ziehen. Diese Einstellung versuche ich auch als IT Projektleiterin bei BMW zu leben, insbesondere jetzt in dieser Zeit mit ihren gravierenden Folgen für die Gesellschaft. Aber etwas so Einschneidendes wie die Coronakrise lässt sich kaum mit Erfahrung allein angehen.
Ihr werdet das vielleicht so oder so ähnlich kennen: Nach etwa drei Wochen im Homeoffice regte sich bei mir eine gewisse Unsicherheit. Fragen kamen auf, Sorgen, auch Ängste. Gar nicht mal unbedingt um mich selbst als um meine Liebsten, um Eltern, den Partner, unsere Kinder. Ich fühlte mich einfach ohnmächtig. Das äußerte sich zum Beispiel darin, dass ich mich – sonst ein „notorisches“ Energiebündel – auf einmal zum Schreibtisch fast hinschleppen musste. Ich gab am Telefon und beim Skypemeeting schnippische Antworten, war verkrampft und schaute recht melancholisch in die auf einmal viel kleiner gewordene Welt.
Zum Glück dauerte diese Unsicherheit kaum zwei Tage. Dabei hat mir sehr geholfen, mich mit meinem Mann, meiner Tochter, mit Kollegen und Freunden über solche emotionale Dinge auszutauschen. Ich beobachtete aufmerksam, wie andere gelassener mit der Situation umgingen – und dennoch verantwortungsvoll handelten und mit ihrer Unsicherheit klarkamen. Indem ich mich auf eine hoffnungsvolle Zukunft orientierte, relativierten sich meine Ängste ganz schnell. Ich hörte auf, die Nachrichtenlage zu Corona in Echtzeit zu verfolgen und konzentrierte mich noch intensiver auf die täglichen Bürothemen. Privat bastelte ich per App Postkarten an liebe Menschen – und siehe da: mit Betätigung des Sende-Buttons verschwanden auch viele meiner Sorgen.
Statt in Passivität zu verfallen, machte ich mir klar: Ich lebe im hoch entwickelten Deutschland, in der Weltstadt mit Herz, habe eine wunderbare Familie, Freunde, meinen Traumjob, kann meine Arbeit nahezu ungeschmälert weiter tun, bin gesund und habe zudem die internationale Community Working Out Loud. Warum also den Kopf hängen lassen? Vielmehr sollte ich auf laufendes Hinterfragen eingestellt sein, an mir kontinuierlich arbeiten, neue Wege finden und damit auch Menschen motivieren. Auch deshalb dieser Blogbeitrag. Meiner anfänglichen Frustration und Antriebslosigkeit folgten erst Akzeptanz und dann der leidenschaftliche Wille, aus der Krise zu lernen, Neues auszuprobieren, Erkenntnisse zu sammeln und diese in das eigene Verhalten zu integrieren. Das habe ich in den letzten Wochen festgestellt:
Die Krise bewirkt, …
- dass wir lernen, besser mit schwierigen Situationen umzugehen.
Klar, es ist leicht dahingesagt, dass in jeder Krise auch Chancen liegen, dass man aus ihr Kraft schöpfen kann. Und ich durfte es selbst erfahren. Ich habe erlebt, wie die eigenen Team-Mitarbeiter sich unter wahrlich ungewohnten Bedingungen organisierten und zusammenhielten. Wer diese Situation so meistert, kommt auch mit allen nachfolgenden Problemen klar. Unsere Erkenntnis: Hier ist einfach mal Pragmatismus angesagt. Dazu gehören ein beherztes Nachvorneblicken und die Fokussierung auf das Machbare.
Ich bin mir ganz sicher, dass es vielen anderen Teams genauso geht. Teams, die mit ihren gebündelten Fähigkeiten und mit innerer Stärke ihren Sorgen wie auch Ängsten mutig begegnet sind und so einen gewissen Kontrollverlust auf ihre Weise gemeistert haben. Räumliche Isolation, Homeoffice mit Kindern, zusammengestrichene Budgets, eingeschränkter Zugriff auf externe Kräfte – das sind schon Herausforderungen!
- …dass wir gezwungen sind, zu improvisieren und innovative Ideen zu entwickeln.
Die Improvisation wird in diesen Tagen zu einer sehr wichtigen Fähigkeit. Mit einem Mal sitzen wir nicht mehr im kuscheligen Nest einer bis ins letzte Detail durchprozessualisierten Arbeitswelt, sondern fühlen uns wie Robinson, der sich auf „seiner“ Insel unter widrigsten Bedingungen behauptet und mit Cleverness durchsetzt.
Immer wieder kommen Mitarbeiter online oder am Telefon auf mich zu, die an einem WOL Circle teilnehmen möchten. Vor kurzem fand deshalb unser virtueller WOL Kick-off zum Thema „Heute an Übermorgen denken“ statt. Dort drehte sich alles darum, innovative Ideen zu entwickeln, etwa zu Themen wie:
- neues Arbeiten
- KI und Big Data
- Innovationen entwickeln und gestalten
- Digitalisierung vorantreiben
- Nachhaltigkeit neu denken und Prozesse regelmäßig bestätigen
- Verbesserungen für den Kunden entwickeln
- Achtsamkeit für sich und andere in der Arbeitswelt
Das Spannende daran: Innovationen entspringen oft einer neugierigen Skepsis gegenüber dem Unbekannten … oder auch aus der Not, ein drängendes Problem lösen zu müssen. Und ja, es ist kompliziert. Doch wir lernen gerade, dass plötzlich Themen, die bis vor kurzem noch eher mit Nachlässigkeit behandelt wurden, auf einmal eine überragende Bedeutung gewonnen haben. Das ist eine Chance. Nutzen wir sie!
- …dass wir besser kommunizieren.
Zu einer gewachsenen Unternehmenskultur gehört transparente Kommunikation. So war ich persönlich froh, dass das Management bei BMW sofort gehandelt und uns ins Homeoffice geschickt hat. Seitdem muss die aktuelle Situation ständig neu bewertet werden. Wir prüfen immer wieder aufs Neue, ob wir uns als Unternehmen, Team, Mitarbeiter angesichts der Krise richtig verhalten. Transparenz und Erklärungsvermögen sind hierbei ganz wesentlich. Nach nunmehr 10 Wochen Corona-Ausnahmezustand nehme ich viel mehr als früher wahr, dass Entscheidungen konkreter hinterfragt werden. Das ist gut so. Denn das macht uns besser.
Aus physischer Distanz entstehen Kommunikationsprobleme. Das ist nur natürlich. Ich habe indes bemerkt, wie sich gerade Probleme, die bereits vorher existierten, eher verschärfen, wenn man sein Gegenüber nur noch über Lautsprecher hört. Daher filtere ich Botschaften viel stärker als früher – sowohl bei dem, was ich sage als auch bei dem, was ich höre. Das Wissen darüber und ein unübersehbarer Zettel auf dem Schreibtisch „ZUHÖREN“ helfen mir, dabei bewusster zu sein und das aktive Zuhören zu trainieren. Dabei fällt auf, welche kommunikative Bandbreite virtuelle Meetings mit oder ohne Kamera haben können, welche Nähe dabei entstehen kann.
Wir lernen, großzügig miteinander umzugehen, unterstützen uns gegenseitig beim Navigieren in virtuellen Applikationen, lernen mit Whiteboards zu arbeiten,
entwickeln regelrechte Online-Zeremonien. Kennen sie das? Jeder sucht sich ein Symbolbild in Google und beschreibt damit den anderen Kollegen die eigene Stimmung. Daraus entstehen Vertrautheit und ein starkes Zugehörigkeitsgefühl.
- …dass wir zielgerichteter vorgehen.
Wie oft fühlen wir uns im Büro getrieben, durch die täglichen Besprechungen, die vielen Emails, Aktivitäten an Nachbartischen sowie Themen, die zeitnah erledigt werden müssen. Das ist im Homeoffice nicht viel anders. Allerdings kann ich mich daheim ungestört auf die Wertigkeit meiner „todo“-Liste konzentrieren. Dazu wende ich das Pareto-Prinzip an. Täglich trage ich alle Themen, die mir wichtig sind, in ein Buch ein. Da kommen immer so um die 20 Punkte zusammen. Und dann wähle ich die wichtigsten fünf Aufgaben und fokussiere mich darauf. Fein, wenn dann Zeit für die restlichen Punkte bleibt.
- …dass wir mehr Eigenverantwortung übernehmen und uns unserer Fähigkeit zur Selbstorganisation gewahr werden.
Bisher herrschte auch in unserem Unternehmen weitgehend eine Präsenzkultur. Von heute auf morgen jedoch wurden tausende Mitarbeiter in die Eigenverantwortung entlassen. Das wirkte sich auch auf das hierarchische Gefüge aus. Führungskräfte mussten ihre gewohnte Kontrolle abgeben und darauf vertrauen, dass wir verantwortungsvoll handeln. Verantwortung und Vertrauen gehen Hand in Hand. Das lässt sich nicht einfach anordnen, das muss wachsen. Und weil das nicht jeder verinnerlicht hat, bieten wir Working Out Loud im Unternehmen an, um genau das zu erreichen. Ich wünsche mir für die Zeit nach der Krise, dass dies in unsere Unternehmenskultur übergeht.
Mit diesen Gedanken verlasse ich nun den Schreibtisch und gehe wie jeden Abend der vergangenen Wochen mit meinem Mann Klaus für eine Stunde an die Isar zum „power walken“. Wir werden uns zu unserem Tag austauschen, gemeinsam einen Podcast zur wirtschaftlichen Situation anhören und ganz sicher angeregt darüber diskutieren. Jeder hat ein Air Pod im Ohr, ich im linken, er im rechten. Wir stoppen den Podcast an Stellen, die wir diskutieren wollen. Ich würde das gern auch nach Corona erhalten.