Seit einigen Jahren gehört die Working Out Loud Methode zu meinem beruflichen Leben fest dazu. Das hat nichts mit einem Arbeitsauftrag zutun, sondern damit, dass es ein Herzensanliegen geworden ist. Um in einem zukunftweisenden Projekt erfolgreich zu sein, ist nicht nur Fachwissen, inklusive Tools und Methoden, erforderlich, sondern auch ein neues Denkverhalten.
Dazu kommt, dass ich in meiner täglichen Arbeit immer mehr mit Big Data, Machine Learning und Künstlicher Intelligenz zu tun habe. Zudem ist mein Arbeitgeber, die BMW Group, als Automobilhersteller mit hohen gesetzlichen, politischen und gesellschaftlichen Anforderungen konfrontiert – damit wachsen auch die Herausforderungen für meine Kollegen und mich.
Dieser schwierigen Situation versuchen wir auf individueller und operativer Ebene mit agilem Arbeiten zu begegnen. Darüber hinaus brauchen wir eine neue Unternehmenskultur, die von Networking, Lernen als Defaultmodus und einem anderen Miteinander über Abteilungs- und Hierarchieebenen hinweg gekennzeichnet ist. Das wird uns den flexibleren Umgang mit Veränderungen ermöglichen.
Die Working Out Loud Methode in der Praxis
In dieser Artikelserie möchte ich anhand von fünf Beispielen aus der Praxis beschreiben, wie Working Out Loud uns nicht nur dabei hilft, agile Prinzipien zu leben, sondern damit auch immer wieder Lösungen für scheinbar unlösbare Aufgaben zu finden.
Dabei erlebe ich in meinem beruflichen Alltag durchaus Kritik an der Methode Working Out Loud. Einverstanden! Lasst uns gemeinsam ausloten, wo die Chancen, aber auch die Grenzen des Konzeptes liegen. Meine Aufgabe sehe ich dabei weniger in der theoretischen Weiterentwicklung des Prinzips, sondern in der Erforschung der Erfolgsfaktoren für die Umsetzung in die neue digitale Arbeitswelt.
Durch das Zusammenkommen in Working Out Loud Circles verändern Menschen ihre Arbeitsumgebung, Karrieren, ja sich selber. Ich erlebe das wirklich sehr häufig. Ein hervorragendes Beispiel dafür stellt für mich eine Kollegin dar. Ich möchte sie Bettina nennen. Bettina war in der Produktionsvorbereitung tätig. Zu ihren Aufgaben gehörte die Simulation von Produktions- und Logistikprozessen, also zum Beispiel die Analyse von Engpässen und die Ableitung von Optimierungsmaßnahmen. Und wie man sich gut vorstellen kann, lässt sich das durch eine Visualisierung am Besten erklären. So entwickelte sie ihr Working Out Loud Ziel: „Ich möchte mit Zeichnungen komplexe Sachverhalte noch besser auf den Punkt bringen.“ Also ein interessantes, wenn auch auf den ersten Blick nicht besonders spektakuläres Ziel. Bettina wollte ja nicht die (Arbeits-)Welt verändern, sondern „nur“ eine wichtige Fähigkeit verbessern.
Der Weg ist das Ziel
Sie wandte sich an mich als Mentorin und bat mich, sie auf dem Weg durch einen WOL-Circle zu begleiten. Dem habe ich sehr gerne zugestimmt. Liegt mir doch die Förderung von Frauen sehr am Herzen! Deshalb habe ich mich auch sehr gefreut, Bettinas weitere Entwicklung zu beobachten. Denn während des zwölfwöchigen Circles hat sie sich und ihre Stärken entscheidend weiterentwickelt. Sie ist nicht nur als kompetente Fachfrau, sondern auch als Persönlichkeit, gewachsen. Bettina konnte schon immer zeichnen. Doch jetzt macht sie es mit einer Leichtigkeit und Freude, dass allen das Herz aufgeht. In Workshops und Meetings kommen Diskussionen durch ihre visuelle Unterstützung viel schneller auf den Punkt. Auch beruflich hat sie sich verändert: Mittlerweile ist sie im Bereich Produktionsplanung als Produkt Owner in einem agilen Umfeld tätig.
Working Out Loud arbeitet mit ähnlichen Gedanken wie das agile Prinzip. Wenn dort von Fokus die Rede ist, meint Working Out Loud „Purposeful Discovery“. An Bettinas Beispiel lässt sich das sehr gut illustrieren. Es gibt ein intrinsisch motiviertes Ziel, das konzentriert und offen verfolgt wird.
Fazit
Ich empfehle jedem, der sich Veränderungen im Arbeitsumfeld oder bei seinen eigenen Kompetenzen wünscht, sich buchstäblich irgendein Ziel zu setzen, das ihm oder ihr am Herzen liegt. Es kommt nicht so sehr darauf an, ob das Vorhaben besonders ist oder auf den ersten Blick, so wie Bettinas Wunsch, alltäglich erscheint. Das Ziel ist sozusagen eine Krücke. Interessant ist, was mit dem Praktizierenden passiert. Macht man sich zum Beispiel zur Angewohnheit, nach Neuem, Hilfreichem Ausschau zu halten, entdeckt man viel mehr, als man eigentlich für das eigene Ziel bräuchte. Durch den Fokus weitet sich der Blick, Möglichkeiten werden entdeckt, die bisher verborgen schienen. Mit begrenzten Ressourcen – tägliches Brot im agilen Arbeitsumfeld – lassen sich dadurch Ergebnisse in einer Qualität erzielen, die oftmals überraschen.
In der nächsten Ausgabe dieser Artikelserie schreibe ich darüber, wie eine Kollegin das WOL-Prinzip Relationships für ein ganz privates, ehrgeiziges Projekt genutzt hat, und so ganz nebenbei das crossfunktionale agile Prinzip für ein Charity-Projekt entwickelt hat.