Einer meiner Lieblingsblogger, Thomas Michls, hat über die Blogparade des Projektmagazins geschrieben.

Die Frage lautet: “Was glauben Sie, was ein Projektleiter in erster Linie braucht, um komplexe Projekte im Griff zu behalten – mehr an Projektmanagement-Methode oder mehr an Persönlichkeit des Projektleiters?“

Gute Frage. Zuerst habe ich spontan gedacht: Natürlich ist die Persönlichkeit das Wichtigste. Doch was bedeutet das? Dass zum Beispiel jeder Politiker, der ja offensichtlich umfängliche Fähigkeiten hat und eine herausragende Persönlichkeit ist, meinen Job als Projektleiter  machen kann? Nein, so einfach und richtig kann meine spontane Reaktion nun wohl doch nicht sein.

Als Projektleiterin mit 20-jähriger Erfahrung habe ich mir deshalb zunächst überlegt, welche Ansprüche und Forderungen erfüllt sein müssen, um den Erfolg eines Projekts sicherzustellen: Welche Eigenschaften und Verhaltensweisen würde ein „idealer“ Projektleiter zeigen? Daraus habe ich fünf Punkte zu einer Bewertungsmatrix verknüpft, die ich im Folgenden mit Beispielen unterlege: 

 
1. Als Projektleiter brauche ich ein Denkverhalten wie das eines Unternehmers:

Ich erinnere mich an eine Kollegin aus meinem Team, die für Ihre Arbeiten immer viel länger als geplant brauchte.  Nach einiger Zeit konnte ich dies nicht mehr akzeptieren. Sie begründete ihren ausufernden Zeitbedarf damit, dass Sie Ihre Arbeiten erst weitergeben wolle, wenn Sie 100 prozentig sicher sein könne, dass alles fehlerfrei sei und das Ergebnis zu ihrem hohen Qualitätsanspruch passe. Auf meine Frage, ob sie sich auch mit 120 Prozent Bearbeitungsumfang absichern würde, wenn sie dies als Unternehmerin mit einem vorgegebenen Budget schaffen müsste, war die spontane Antwort  „Nein“. Meine Bitte daraufhin war, auch für unser Unternehmen mehr im Geiste eines Unternehmers zu arbeiten. Erstaunlicherweise wurde sie innerhalb kurzer Zeit sehr viel schneller bei zu vernachlässigender geringer Fehlerrate.

Unternehmerisches Denken: Verhältnis Projektmanagement-Methodik / Persönlichkeit = 30/70

 

2. Als Projektleiter muss ich SOLL/IST-Status des Projekts für Teammitglieder und Vorgesetzte nachvollziehbar darstellen können.

Ich war mal vor längerer Zeit als Mitarbeiterin in einem Projekt involviert, bei dem es drunter und drüber ging, obwohl der Projektleiter als Maschinenbau-Ingenieur höchste fachliche Kompetenz besaß. Leider ließen seine Fähigkeiten als Projektleiter zu wünschen übrig: Er hatte zwar alles im Kopf  und vielleicht auch in seinem Notizheft, setzte aber weder Projektleitertools noch Projektleitungsmethodik ein. So hatte er zwar immer Antworten auf fachliche Fragen und war uns da wirklich ein guter Ratgeber, doch zum aktuellen Status  des Projektes,  zu anstehenden Termine,  Risiken und zur Höhe des aktuellen Budgets bekamen wir keinerlei Informationen. Dies führte dazu, dass es  zu Informationsdefiziten im Team und damit auch zu Frustrationen bei den Teammitgliedern kam. Das Projekt endete im Chaos.SOLL/IST-Status: Verhältnis Projektmanagement-Methodik / Persönlichkeit = 80/20

 
3. Ich brauche als Projektleiter die Autorität, mich bei meinen Teammitgliedern hinsichtlich der Einhaltung vereinbarter Termine, Budgets und Qualitätkriterien durchzusetzen:

Ich werde hin und wieder von Teammitgliedern und Schnittstellenpartnern  gefragt, warum ich mich derart bemühe, ihnen so nachvollziehbar die Hintergründe der Vorgaben zu Termin und Kosten zu erläutern. Für mich ist das selbstverständlich, denn ich will damit auch das Commitment der Projektbeteiligten bezüglich der gemeinsam abgestimmten Vorgaben erreichen. Nur so kann ich den Kollegen oder die externen Partner im Falle von Abweichungen in die Verantwortung nehmen. Da geht es dann nicht um die Schuldfrage, sondern um die schnelle Entwicklung gemeinsamer Lösungen.

Autorität: Verhältnis Projektmanagement-Methodik / Persönlichkeit = 10/90

 
4. Als Projektleiter muss ich unerwarteten Problemstellungen mit lösungsorientiertes Denken begegnen:

Wie oft ist es mir schon passiert, dass mir Verzögerungen bei absolut terminkritischen Aktivitäten gemeldet wurden, weil zum Beispiel unerwartet Teammitglieder wegen Krankheit, Unfall oder sonstigen Gründen ausgefallen sind.  Ich habe noch immer eine Lösung gefunden. Und sei es, dass ein Kollege aus einem anderen, weniger zeitkritischen Projekt abgezogen und bei mir eingesetzt wurde. Das tut vielleicht auch weh, ist von den Konsequenzen her jedoch nicht vergleichbar damit, dass wir den Termin am „Kritischen Pfad“ nicht eingehalten hätte.
Lösungsorientiertes Denken: Verhältnis Projektmanagement-Methodik zu Persönlichkeit = 30/70

 
5. Als Projektleiter brauche ich ein gesundes Maß an Sozialkompetenz:

Mein Projekt-Team bestimmt den Erfolg in der Projektleitung. Deshalb sorge ich für ein gutes Arbeits-Klima. Ich achte darauf, was jedem Teammitglied wichtig ist, ich finde heraus, wo die jeweiligen Stärken und Schwächen liegen und setze die Mitarbeiter an der Stelle ein, für die sie am besten geeignet sind.Ich denke dabei an einen Projektkollegen, promovierter Wissenschaftler. Er war zwar hochintelligent, kam aber mit seinen Projekten nicht zum Abschluss. So sollte er ein Berechnungsmodul programmieren und wurde und wurde nicht fertig. Als ich ihn eines nachmittags wieder einmal anrief, um mich nach dem Projektfortschritt zu erkundigen, erhielt ich – ewig grüßt das Murmeltier – erneut die Antwort, die Arbeit würde erst morgen fertig, weil heute etwas Dringendes dazwischen gekommen sei. Da  riss mir der Geduldsfaden. „Du hast doch selbst den Zeitaufwand dafür kalkuliert…“, schimpfte ich ins Telefon: „…entweder ist es morgen fertig, oder Du bist ab übermorgen im Testteam.“ Wütend legte ich den Hörer auf. Und siehe da, am nächsten Tag hatte ich das fertige und fehlerfreie Modul.

Meine ungehaltene Reaktion durfte ich jedoch nicht einfach so stehen lassen. So bat ich ihn um ein Gespräch. Ich entschuldigte mich für meine Unbeherrschtheit und fragte ihn nach den Arbeiten, die er am liebsten tut. Dabei erzählte er mir, dass ich mit „Testteam“ gar nicht so schlecht gelegen habe. Er würde liebend gern Testfälle schreiben und auch testen. In seiner Doktorarbeit hatte er nämlich Testszenarien für chemische Zusammensetzungen entwickelt.

Er wechselte also wirklich ins Testteam und war dort in seinem Element, total produktiv und hielt seine kalkulierten Zeiten  ein.

Sozialkompetenz: Projektmanagement-Methodik zu Persönlichkeit = 5/95

 

Mein Fazit: Projektmanagement-Methodik / Persönlichkeit = 40/60

Das heißt: Um ein Projekt im Griff zu behalten, ist die Persönlichkeit des Projektleiters wichtiger als Methodik und Fachkompetenz.

„Na, ich habe dir das doch gleich gesagt.“ sagt mein Bauchgefühl. Genau. Doch die Entwicklung meiner Bewertungsmatrix hat zum einem Spaß gemacht und bestätigt zum anderen mein Bauchgefühl. Gut zu wissen!

 

Ilona Libal ist Diplom-Informatikerin und IT-Projektleiterin bei einem Automobilkonzern. Wie Arbeit aussehen kann, die begeistert, Freude macht, vernetzt – dazu erzählt sie in diesem Blog Geschichten von tollen Menschen und Veränderungen. Sie möchte Wissenswertes verfügbar machen und Schwung in den Arbeitsalltag ihrer Leser bringen.