
Meine Freundin Ramona wohnt im Allgäuer Voralpenland. Wir haben zusammen in den 80ern in Cottbus Abitur gemacht. Sie hat noch in DDR-Zeiten das unwürdige Ausreiseverfahren in Kauf genommen und ist kurz vor der Wende hochschwanger nach Marktoberdorf gekommen. Für ihren Mut, alles stehen und liegen zu lassen und im Westen neu anzufangen, habe ich sie immer bewundert. Unsere Freundschaft ist über die Jahre geblieben. Ramona arbeitet in der Buchhaltung eines Automobilzulieferers. Anfang des Jahres habe ich sie übers Wochenende besucht. Während wir unter blauem Himmel einen malerischen See umrunden, scheint mir ihr Gesichtsausdruck so gar nicht zur Heile-Welt-Bilderbuchlandschaft zu passen. Ramona ist verdruckst, ihre Stirn zeigt eine Sorgenfalte. „Was ist los? Da nagt doch was an dir.“ Ich erfahre, dass sie seit einigen Tagen ins Grübeln gekommen ist. Um sie herum wurden reihenweise Mitarbeiter entlassen. Früher wäre das undenkbar gewesen – aber die Zeiten haben sich geändert. Ramona hat Angst um ihren Job! Sie ist so verunsichert, wie ich sie noch nie erlebt habe. Und ich weiß nicht, was ich ihr raten soll …
Szenenwechsel. Eine Neujahrsgrußkarte von Jaqueline. Sie schreibt, dass bei ihr viel in Bewegung ist, im Job und auch gesundheitlich. Ich greife sofort zum Telefon und erfahre, dass ihre Health Care Firma ihr nach vielen Jahren betriebsbedingt gekündigt hat. Das Geschäft rechnet sich offenbar nicht mehr. Neben dem Stress durch den Verlust des Arbeitsplatzes setzt ihr eine Krankheit zu. Wieder kann ich nur zuhören, meine Hilfe anbieten, für sie da sein und ihr positiv zureden.
Ramona und Jaqueline sind Beispiele aus meinem Freundeskreis. Aber auch in meiner unmittelbaren Arbeitsumgebung nehme ich Verunsicherungen und analoge Ängste wahr. Und es geht nicht allein um tiefe Besorgnis, die man mit einer Schachtel Mon Chérie wegstreicheln kann – es geht vielmehr um Existenzängste und um Zukunft. Dies vor dem Hintergrund, dass speziell in der Automobilindustrie Rationalisierungsmaßnahmen zu Entlassungswellen führen. Die Ursachen sind vielfältig. Darüber will ich aber gar nicht schreiben. Ich denke jedoch darüber nach, wie wir mit dieser gravierenden Unsicherheit umgehen können.
Wie bin ich bisher mit Sorgen und Verunsicherungen umgegangen? Ich war schon oft vor schwierigen Entscheidungen gestellt und musste lernen mit Risiken umzugehen. Und ich habe erfahren, wenn auch manchmal schmerzhaft, dass kritische Lebensabschnitte und große gesellschaftliche Umbrüche so gut wie immer auch Chancen mitbringen. Es ist nicht so, wie wir oft glauben, dass alles, was sich ändert, sich nur zum Schlechten ändert. Ich möchte für mehr Zuversicht plädieren. Dabei meine ich nicht Augen zu und durch. Ich möchte nur der Angst nicht erlauben, die Übermacht zu gewinnen. Den Ernst der Lage zu erkennen, ist das Eine – aber wir sollten auch die Türen und Räume erspähen, die sich auftun.
Wie ging es mir damals zur Wendezeit? Da musste ich die Erfahrung machen, wie es ist, wenn ein ganzes Land buchstäblich unter den Füßen wegbricht, wenn damit der Job in Frage gestellt ist, wenn Erspartes von heute auf morgen nichts mehr wert ist und Gewissheiten in Frage gestellt werden.
Das sah in meinem Fall so aus, dass ich mit der Reorganisation der TU Dresden gleichermaßen wie heute Ramona und Jaqueline die Sorge hatte, meinen sicheren Job als wissenschaftliche Mitarbeiterin zu verlieren. Meine Angst ohne Job zu sein habe ich durch eine engagierte Suche nach Möglichkeiten bei Seite gelegt und bin in der Folge das Risiko eingegangen, mich selbständig zu machen. Ich gründete ein Softwarehaus für maßgeschneiderte Lösungen. Es lief über Jahre gut, ich arbeitete mit Studenten, festen und freiberuflichen Mitarbeitern. Der sich abzeichnende Strukturwandel stellte mich wieder vor eine schwierige Situation. Und so passierte es mir… Keine Aufträge, Herzklopfen am Geldautomaten, ob noch was herauskommt. Für meine Softwarefirma musste ich einen Kredit bedienen. Was also tun? Und so traf ich die alles andere als leichte Entscheidung, mich in ganz Deutschland zu bewerben. Ich wusste: Sollte ich anderswo eine Anstellung bekommen, müssten wir eine Lösung für Kinderbetreuung finden, denn aus familiären Gründen würden wir nicht alle wegziehen können.
Als sich die Chance bot, nach München zu gehen, tat ich mir schwer. Aber meine Familie und Freunde sprachen mir zu. „Mach“, sagten sie, „das ist deine Chance. Später sehen wir weiter.“ Ich wurde freiberufliche Softwareentwicklerin bei der MunichRe und pendelte jedes Wochenende nach Dresden. Und die Unterstützung zu Hause war immer da. Nicht zuletzt, weil sich unser aller Leben positiv veränderte. Diese Entscheidungsfreudigkeit von damals habe ich mir bis heute bewahrt und setze sie auch in meiner Position bei BMW ein. Auch wenn man vor schwierigen Entscheidungen steht – es wäre ein Fehler, sich Wege selbst zu verbauen, die man wagen sollte.
Diese Geschichte aus eigenem Erleben zeigt, was eine positive Grundeinstellung und ein realistischer Optimismus ausmacht. Das hat mit Zuversicht zu tun. Dass man daran glaubt, selbst etwas bewirken zu können. Denn Zuversicht ist viel mehr als eine schöne Hoffnung, ein tagträumerisches „Wird schon werden“. Wirksame Zuversicht entsteht, sobald man sich selbst einbringt. Wenn man bereit ist, die Realität zu akzeptieren. Es geht um Eigeninitiative, aber auch um Freundschaft, Familie und Zusammenhalt. Plötzlich tun sich Türen auf, sobald man einen anderen Standpunkt einnimmt. Und das können wir doch alle – auch im Unternehmen: nicht nur geradeaus schauen, sondern immer wieder nach links und rechts.