A bisserl wo’s geht oiwei – Selbstverantwortung statt Opferrolle
Arbeiten, wo andere Urlaub machen, denke ich als ich auf WhatsApp die Nachricht einer guten Freundin lese: Wäre das nicht was für dich, Ilona? Du weißt doch, dass ich gute Kontakte zu einer Firma mit einem Zweitsitz in Sardinien habe. Die suchen gerade händeringend einen Projektmanager für Cloud Applikationen. Das läuft dann so: Eine Woche im Monat arbeitest du in Sardinien, die andere Zeit in München. Das Gehalt stimmt. Die haben eine familiäre Atmosphäre und flache Hierarchien.
Ich überlege. Einen gewissen Reiz hat diese Vorstellung durchaus. Vor zehn Jahren hätte ich wahrscheinlich sofort zugegriffen. Aber ich bin schon viel gereist und habe so viel gesehen. Heute will ich meine freie Zeit lieber mit Mann, Familie und Freunden verbringen, möchte in München sein. Mir fällt aber auch niemand ein, der oder die für diese exotische Stelle infrage käme. Die mir in den Sinn kommen, sind entweder zu jung und unerfahren oder zu alt, zu gesettelt, zu verwurzelt und gebunden, um sich auf einen solchen Schritt in mediterrane Gefilde einzulassen.
Dabei gibt es aktuell gar nicht so viele anspruchsvolle Stellenausschreibungen. Die Zeiten haben sich geändert. Auch weltumspannende Konzerne wie BMW sehen sich mit neuen Herausforderungen konfrontiert, die den Stellenmarkt unter Druck setzen. Häufig werde ich von Freunden, Kollegen und Mentees um Ratschläge gebeten: „Wie kann ich meine Situation ändern?“ Meine Beobachtung: Viele sind unabhängig vom Alter unzufrieden mit ihrer beruflichen Situation. Die Gründe sind völlig verschieden. Mal ist die Aufgabe nicht fordernd genug, mal ist es die fehlende Wertschätzung, sind es die fehlenden Aufstiegschancen oder der Chef und das Umfeld passen nicht.
Mein Rat ist hier immer: Wenn Du unglücklich bist, verändere deine Situation, warte nicht darauf, dass diese sich von selbst verändert. Nutze die Chance, trete die Flucht nach vorn an, gestalte den Wandel aktiv. Selbstbestimmung ist eine wichtige Schlüsselkompetenz heute, bestimme selbst was mit Dir passiert.
Doch Fakt ist, es ist schwieriger geworden eine gute Stelle zu finden und das nicht nur wenn man von außen in einen Konzern will auch wenn man sich innerhalb eines Unternehmens bewirbt, sind die Stellenangebote reduziert. Deutsche Unternehmen bauen Stellen in erheblichen Umfang ab.
Warum ist das so – obwohl doch Fachkräftemangel herrscht? Ich erkläre es mir so: Unsichere Zeiten verlangen mehr Kostendisziplin. Das merke ich , in meinem unmittelbaren Arbeitsumfeld. Wo früher irgendwie immer noch was ging, ist hier Schicht im schacht. Da wird sogar bei Budget, an dem nicht gerüttelt werden darf, noch was weggenommen. Und natürlich ist der Druck Personalkosten zu senken besonders hoch.
Zum Glück unterstützt BMW noch Stellen für Nachwuchskräfte. Davon profitiere ich und meine Studenten. Ein strategischer Schachzug. Denn damit sichern wie uns frühzeitig gute Fachkräfte. Ich bin dankbar und unterstütze diese gezielte Personalstrategie: Nachwuchssicherung ist wichtig, auch wenn in anderen Bereichen gespart wird. Bei meinen Stellenausschreibungen merke ich das ganz extrem: 150 Bewerbungen innerhalb 14 Tage. Ja, die Konkurrenz wird deutlich härter. Aber ehrlich gesagt, es ist auch sehr viel dabei, was nicht passt.
Um so mehr ist es schön zu erleben, was für wunderbare, talentierte, junge Menschen bei uns Praktikum machen. Ricardo ist aus Ecuador, seit Februar 2024 ist er jetzt bei uns. Vor kurzem kam er zu mir “Ilona, welche Fähigkeiten muss ich noch erwerben, um einen richtig guten Job zu bekommen?“ wow, ich hielt die Luft an. Was sollte ich ihm sagen. Er ist ja schon überdurchschnittlich gut. Doch was braucht er um eine Stelle zu bekommen? Glück, Glück und nochmals Glück. Viel Selbstvertrauen, Ausdauer, die Bereitschaft zurückzustecken…. Also antworte ich ihm: „Die IT entwickelt sich rasant, daher ist Anpassungsfähigkeit entscheidend. Konzentriere dich auf Anwendung von künstliche Intelligenz und Machinenlearning , erweitere Dein Wissen über Cybersecurity und beschäftige dich mit Cloud Computing.“ Zu jedem Thema konnte ich ihm Kollegen nennen, an die er sich wenden kann. Außerdem den Markt sondieren, den CV ( Curriculum Vitae) auf den aktuellsten Stand bringen und bewerben, bewerben, bewerben.
Wenn man mit 40 im Konzern noch nicht auf der Karriereleiter ist, bekommen viel Panik. So erzählt mir Michael, dass er jetzt 42 ist, vor vier Jahren zu BMW gekommen ist und auf der höchsten Tarifgehaltsstufe stehen bleibt. Obwohl er Projekte erfolgreich managed, die Kunden zufrieden sind, bekommt er am Ende des Jahres keinen Bonus oder Wertschätzung. Er sieht keine Aufstiegschancen mehr. „Was rätst Du mir?“ „Bloß nicht aufgeben, Michael. Du hast noch mehr als 20 Jahre bis zur Rente. Bewerbe dich auf andere Stellen intern.“ Bloss keine passive Opferrolle, stattdessen die Selbstwirksamkeit erkennen. Nicht weiter auf äußere Umstände oder Entscheidungen anderer warten. Michael hofft, dass sein Chef die Situation erkennt und ihn doch noch befördert. – Doch wird das passieren, wenn es bis jetzt nicht passiert ist? Mittlerweile sind jüngere, gute Kollegen dazu gekommen. Die Erkenntnis, dass niemand sonst die Verantwortung für das eigene Glück und die eigene Karriere trägt als man selbst, ist ganz wichtig. Verschieben wir doch den Fokus von „Was tun die anderen für mich?“ zu „Was kann ich tun?“. Sei flexibel, nimm neues Wissen auf wo du kannst, stell deine Bereichs übergreifenden Kompetenzen heraus und nutze Möglichkeiten für Sichtbarkeit. Das bedeutet aber nicht, nur an Meetings mit Managern teilzunehmen, wie manche denken, sondern auch im eigenen Umfeld etwas zu bewegen, den Mund auf zu machen und proaktiv für positive Veränderungen einzustehen.
Und dann ist da meine geschätzte Kolleginn Sabine, glücklich verheiratet, Kinder sind aus dem Haus, Mitte 50, überlegt, wie es für sie weitergeht und wie sie ihre Chancen nutzen kann. Auch sie hat noch mehr als zehn Jahre bis zur Rente … Früher hatte sie alle Freiheiten der Welt, hat alle 3-4 Jahre gewechselt, konnte sich alles aussuchen. Und jetzt? Sie hat einen sehr guten Ruf, was sie anpackt gelingt. Ihr Chef gibt ihr zusätzlich viele Freiheiten, so darf sie oft Workshops in den Chefetagen moderieren, obwohl das gar nicht ihre Arbeitsaufgabe ist. Vor einem Jahr ist sie mal für eine kranke Kollegin eingesprungen und jetzt wird sie immer wieder angefragt. Und dazu kommt auch noch, dass es ihr Herzensthema ist. Sie ist gut darin, blüht auf. Es ist Wertschätzung pur, dass sie es zusätzlich machen darf. Dafür macht sie auch gern ein paar Überstunden. Zu all dem schönen, gibt es aber einen negativen Punkt. Sie ist als Projektmanagerin eingebunden in ein großes Projekt und mit dem übergeordneten Projektmanager kommt sie überhaupt nicht klar. Er streicht ihr Budget , ohne mit ihr zu reden, er schwärzt sie im Management an, er fällt Entscheidungen für das Gesamtprojekt ohne sich mit ihr und den Teilprojektleitern abzustimmen. Das macht sie unglücklich. Was tun. Sie fragt mich. Auch innerhalb eines Unternehmens ist es schwierig , nochmal eine andere Stelle zu bekommen. Sie bekommt Absagen. Sie zählt als zu alt. Das sagt man ihr unter vorgehaltener Hand.
Ich rate ihr: es trotz aller negativen Erfahrungen und Unkenrufen zu versuchen.
Vor kurzen postete ein Freund, dass er bisher 14 Jobs in 33 Jahren bei Mercedes-Benz hatte. Ich las es voll Bewunderung. Dann habe ich bei mir mal nachgezählt. Seit dem Studium komme ich auf 10 Unternehmen und 16 Jobs. Es boten sich immer wieder neue Möglichkeiten. Oder ich habe sie gesucht. An einer Aufgabe, egal welche, bin ich immer gewachsen. Veränderungen aktiv mitzugestalten und selbstbestimmt Entscheidungen zu treffen – ist für mich Motivation und Glück im Job. Bloß nicht zu lange warten müssen, dass andere es tun . Verantwortung nicht als Last, sondern als Freiheit begreifen. Das bedeutete aber auch manchmal Unsicherheit auszuhalten. Was man wirklich umsetzen kann, liegt an einem selbst und natürlich am Umfeld „Menschen machen den Unterschied“. Wenn das nicht mehr funktioniert, hilft nur sich für den nächsten Job zu bewerben.
Sabine hat übrigens die Woche mehrere Bewerbungsgespräche. Bestimmt bekommt sie was. Ich drücke die Daumen.
Fazit: Vieles ist schwieriger geworden, sicher. Aber es geht immer noch was. Auch die neuen Bedingungen sind keine Sackgasse.