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Warst du schon mal im Spreewald? Das ist eine phantastische, direkt surreal anmutende Landschaft aus Flussläufen, Sümpfen und Wäldern am östlichsten Rand Deutschlands. Im Juni hatte ich dort mit zwei ehemaligen Klassenkameradinnen unser Klassentreffen meiner Abiturklasse organisiert. Die einen kamen aus Sachsen, die anderen aus Brandenburg. Also lag es nahe, dass wir uns auf halbem Weg im Spreewald trafen. Natürlich haben wir alle zusammen eine lauschige Kahnfahrt gemacht. Als Wegzehrung gab es die obligatorischen „Fettbemmen“, dazu ein frisches regionales Bier und die berühmten Spreewaldgurken. Als unser Kahn auf einer Insel angelegt,  komme ich mit Thomas ins Gespräch.

Thomas arbeitet für einen großen Automobilkonzern in Brandenburg. Wo das so ist, sind wir schnell in den Arbeitsbereich abgetriftet. Thomas erzählt mir von seiner Kollegin Karin, die sich ihm wegen eines heiklen Projekts anvertraut hat. Sie ist für die Entwicklung einer Technologie verantwortlich, für die ein bestimmtes Bauteil benötigt wird, das aber ein Zulieferer plötzlich nicht mehr  liefern kann. Sie suchte händeringend nach einer Alternative und Thomas half ihr dabei, einen Kontakt in Osteuropa ausfindig zu machen. Doch dort kostet dieses Teil das Fünffache von dem, was ihr Unternehmen bisher beim aktuellen Zulieferer bezahlt hatte. Währenddessen drängt ihr Chef, spricht von einem Meilenstein-Projekt und signalisiert ihr ansonsten nur: „Das packst du schon. Und mit einem geringeren Preis. Flieg hin, rede mit denen, handle und verlier nicht die Nerven!“

Völlig aufgelöst erzählt Karin Thomas von ihrem größter Wunsch, über dieses Projekt mit ihrem Bereichsleiter, ihrem höchsten Chef,  zu sprechen, und sich Rat oder Hilfe zu holen. Sie sieht sogar das Risiko, dass die Marktreife einer übergeordneten Technologie in Schieflage gerät, weil ihr Teilprojekt aus dem Ruder zu laufen droht. Doch ihr Chef sieht das nicht und will ihr auch nicht zuhören. An der Stelle unseres Gespräches unterbrach uns der Kahnfahrer: „Alles wieder einsteigen!“ Wir kletterten in das Boot zurück und schipperten über einen der geheimnisvollen Spreewaldkanäle unserem nächsten Ziel zu. Weil wir dann über anderes gesprochen haben, weiß ich nicht, wie die Geschichte für Karin ausgegangen ist.

Als ich dann am nächsten Tag nach München fuhr, fiel mir die Geschichte wieder ein. Mir kam der Gedanke: Karins Problem wäre vielleicht mit einem informellen Gespräch mit ihrem Bereichsleiter zu lösen gewesen. Und da musste ich an Rainer Janßen denken. Mein ehemaliger IT-Chef in meiner Zeit bei der Munich RE. Er war ein Meister in der Kunst des „Nichtgesprächs“ –  ein Kommunikationskonzept, das aus der Diplomatie kommt. Ich zitiere mal eine Passage aus seinem lesenswerten Buch „Arschlöcher gibt’s halt leider überall“. Janßens Nichtgespräch funktioniert so:

„Lass uns miteinander reden, aber vorher fest vereinbaren, dass wir nie miteinander geredet haben! Ich habe jeden neuen Mitarbeiter nach etwa einem Monat zu einem Begrüßungsgespräch eingeladen, um zu erfahren, wie er angekommen ist. Dabei habe ich jedem das Nichtgespräch erläutert und ihm angeboten, wann immer er sich in einer Situation befindet, in der er nicht weiß, wie er damit umgehen soll, ob er nur etwas nicht richtig einordnen kann oder der Chef oder die Firma bekloppt sind, ob er eskalieren muss oder ob ich den Zustand erklären kann, ein solches Nicht-Gespräch bei mir zu beantragen.“  Rainer Janßen rät Entscheidern: Investiert in hierarchieübergreifendes Zuhören und schützt eure Kanäle. Denn das Gespräch hat ja nie stattgefunden.

Auch ich bekam diese Einladung in meinem Begrüßungsgespräch, damals bei der Munich Re. Und ich habe davon auch Gebrauch gemacht. Denn schon ein paar Monate nach meinem Start stieß mir etwas auf, von dem ich meinte, dass es nur mit dem obersten Chef zu lösen sei. Ich hatte es mir  damals wirklich nicht leicht gemacht und mich gefragt: Ist es ein Vorgehen hinter dem Rücken der unmittelbaren Chefs, ein gegeneinander Ausspielen von Führungskräften? Ich kam zu dem Schluss: nein, ist es nicht. Denn es war Rainer Janßen selbst, der mir und auch jedem anderen Mitarbeiter das Angebot des Nichtgesprächs gemacht hat. Ich vertraute ihm. Er konnte solche Gespräche beurteilen. Und sowieso, ich hatte einen Grund. Ich sah in meinem Verantwortungsbereich ein Risiko für das Unternehmen, was meine direkt übergeordneten Chefs zwar kannten, aber nicht angingen. Ich wollte nicht einfach nur meinem Unmut Luft machen, sondern etwas bewirken. Hoffend, dass Janßen etwas unternimmt. Und so war es dann auch.

Ein solches Nichtgespräch ist also eine zwanglose Unterredung unter vier Augen. Aus der ich mit guten Gefühl heraus gehe, ohne es an die große Glocke zu hängen. Es hat quasi nicht stattgefunden. Das Nichtgespräch ist eher ein kommunikatives Miteinander, bei dem ich mich in einer bestimmten Situation sicher verankern kann, Rückhalt spüre und etwas passiert. Und ich habe es angestoßen. Es ist eine persönlichere Ebene der Gesprächsführung mit Vorgesetzten als üblich. Für mich hat das sehr viel mit Vertrauen zu tun. Ganz sicher auch mit Wertschätzung. Und ich bin mir sicher: Auf diesen – nennen wir sie mal – „leisen Worten“ beruht das Erfolgsrezept vieler Unternehmensstrukturen.

Karin, der Kollegin von Thomas, hätte so ein Nichtgespräch vermutlich geholfen. Doch wie sieht es eigentlich bei uns im Konzern damit aus? Sicher, einige Bereichsleiter bei BMW leben dieses Prinzip auch – ohne dass  sie es extra als Nichtgespräch benennen. Insgesamt wünschte ich mir aber, dass wir diese informale Gesprächskultur über Ebenen hinweg viel öfter praktizieren. Das wäre natürlich unkonventionell. Und auch eine Zeitfrage. Aber kennst du nicht auch solche Momente, in denen du dir sagt: „Verflixt, hier geht’s nicht weiter. Am liebsten würde ich jetzt gleich zum obersten Chef gehen und dieses Thema zu Sprache bringen.“ Nun klar, diese Manager haben so viel Wichtiges zu tun. Und da sind da auch die Hemmungen. Traue ich mich, ein, zwei Treppen höher zu gehen als üblich und dort das Gespräch zu suchen? Aber es wäre doch schön, wenn die Kultur in einem Unternehmen für solche Anliegen offen ist!

Ein Weltkonzern wie BMW besteht zu erst einmal aus vielen engagierten Menschen – Leuten wie du und ich, die das Herz auf dem rechten Fleck tragen und sehr oft die Wahrheit auf der Zunge. Und der Job ist eben nicht nur ein Job. Beinah täglich passieren hunderte von erzählenswerten Geschichten, die unser Leben bereichern können – selbst wenn man nicht dabei war. Ich habe für euch einige von ihnen aufgeschrieben. Das meiste habe ich selbst miterlebt. Und immer lässt sich aus einer der Alltagsstories etwas herausziehen, was uns Kraft, Motivation und Inspiration gibt. Vielleicht könnt ihr etwas ganz Persönliches für euch mitnehmen. Und wenn nicht, dann fühlt euch einfach in der Kaffeepause oder in der U-Bahn nach Feierabend gut unterhalten. Und…ich serviere euch die leisen Töne, das, was oft ungehört bleibt … darum heißt s ja auch: Konzerngeflüster!